Leseprobe 1
Der folgende Auszug findet sich im Vorwort des Buches

 [...] Sicherlich ist die Sache, die hier angesprochen wird, nichts grundsätzlich Neues. Die Diagnosen »Ego-Gesellschaft«, »Moral-Vakuum«, »Wertekrise«, »Auflösung der Gesellschaft« sind inzwischen altbekannt, doch läßt es aufhorchen, daß Frank Gerbert in dem Hauptbeitrag zum Titelthema trotz der offensichtlichen Fixierung auf das Negative bemerkt: »Es wächst das Unbehagen an einem Zusammenleben, in dem jeder seinen Vorteil ohne Rücksicht auf die anderen zu suchen scheint.« Sein Artikel endet dann allerdings etwas resignierend: »Vielleicht stellen sich solche [ethischen] Probleme schon bald nicht mehr. Das heutige Individuum habe sich bereits ganz aus der Verantwortung zurückgezogen, klagte der Wirtschaftsexperte Meinhard Miegel kürzlich auf der Münchner Diskussion über Egoismus - 'selbst die Familiengründung wird zu anstrengend'.«

Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund wird in dem vorliegenden Buch nach der Hoffnung in einer »zerbrochenen Welt« gefragt. Denn es gibt - wie die Erfahrung zeigt - einen engen Zusammenhang zwischen Hoffnung und ethischem Handeln. In einem Land, in dem keine Hoffnung »produziert« wird (gemeint sind nicht leere Versprechungen!), entstehen mit erbarmungsloser Notwendigkeit »Teufelskreise des Todes«: Lüge, Anklage, Gewalt, Ausbeutung, Kapitalflucht etc. Die Entsolidarisierungsbestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland und die sich auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens breitmachende, gelegentlich sehr subtile und versteckte Rücksichtslosigkeit und »Absahne-Mentalität« hängen - wie ich glaube - engstens mit einem Mangel an Hoffnung zusammen. Wem die Hoffnung schwindet, die Hoffnung, daß es gut weitergehen kann (und letztlich gut ausgehen wird), muß der nicht zusehen, wo er bleibt? Ihm fällt es überaus schwer, treu zu sein, denn es ergeht an ihn ständig die »Einladung zum Verrat« an der Treue zugunsten des eigene Vorteils im Augenblick. Wer ohne Hoffnung ist, bringt sich und/oder andere über kurz oder lang um. Dies kann bisweilen sehr langsam geschehen, aber auch ein langsamer Tod ist nichts Schönes. Ihm wird es letztlich gleichgültig sein, was er tut, und da der Egoismus in dieser Welt - sei er nun von hinterhältiger Art oder ganz einfach offen zur Schau gestellt -  eher prämiert wird als das Tun des Guten, legt sich für ihn nur eine Richtung nahe, in der zu handeln er fortfahren wird. Es ist einfach logisch, daß derjenige, der keine Hoffnung hat, eine hohe Bereitschaft zeigt, sich bei Gelegenheit auf ein rücksichtsloses Verhalten einzulassen. Tut er dies nicht, so darf dies bereits als ein erstes Anzeichen dafür gelten, daß in seinem Herzen die Hoffnung lebendig ist, die nicht zugrunde gehen läßt.

Wie kaum ein anderer hat Thomas von Aquin diesen Zusammenhang zwischen Hoffnung und ethischem Handeln erkannt, wenn er im 13. Jahrhundert die denkwürdigen Sätze niederschreibt: »Die Hoffnung hält uns vom Bösen zurück und motiviert uns, das Gute zu tun. Schwindet die Hoffnung dahin, so gleiten die Menschen hemmungslos in ein lasterhaftes Leben ab und werden vom Bemühen um das Gute zurückgehalten.«

Die folgenden Analysen und Überlegungen verstehen sich als Suche nach einem tragfähigen Grund der menschlichen Hoffnung auf einen letzten Sinn des Lebens, die im übrigen ausnahmslos allen Menschen ans Herz gelegt ist. Denn nur wenn wirklich Grund zur Hoffnung besteht, ist auch eine hinreichende Motivation vorhanden, das Gute zu tun, und zwar unbedingt, d. h. unter allen Umständen, auch dann noch, wenn - wie Frank Gerbert mit Verweis auf die deutsche Prominenz formuliert - schlechte Beispiele »die Motivation zur eigenen Tugendhaftigkeit [trüben]«. [...]

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