Leseprobe 4
Der folgende Auszug findet sich im Nachwort des Buches

[...] Dieses Buch wurde in der Hoffnung geschrieben, daß insbesondere die Menschen, die »der Glaube ... nicht mehr trägt«, angestoßen durch den einen oder anderen Gedanken, neu aufmerksam werden »für das Licht, das alle Wolken zerreißt«.

Vielleicht noch ein Letztes. Das Licht, von dem die Christen Zeugnis ablegen, fällt nicht ein in die Welt wie das Licht eines Scheinwerfers auf die Bühne oder das Flutlicht in die Arena. Unser aller Weg bleibt auch nach dem Christusereignis in ein nicht immer leicht zu ertragendes Dunkel gehüllt. »Mit der Aporie leben« - ich denke, das ist ein Wort, das sich auch Christen zu eigen machen können. Und vielleicht ist es - um der Menschlichkeit willen - gut, zu lernen, mit der Aporie zu leben, anstatt so zu tun, als gäbe es die Aporie-Erfahrungen nicht. Das Leid, das Böse und - nicht zu vergessen! - der Tod eines geliebten Menschen vermögen alles durcheinanderzubringen und vermögen immer wieder Menschen niederzudrücken und in die Ausweglosigkeit zu führen. Doch für die, die in der Finsternis sitzen, gibt es - auch dies sollte bei aller Betonung der Aporie-Erfahrung nicht übersehen werden - inzwischen mehr als »nur jene seltenen Momente des Lichts«, die auf den Sinn zu verweisen scheinen. Sie dürfen nicht nur aufgrund von Augenblickserfahrungen gegen alle erfahrene Sinnlosigkeit und Sinnwidrigkeit hoffen, sondern sind - freilich behutsam und diskret - eingeladen, den Tod und die Auferstehung Jesu zu erinnern. [...]

Dabei kann einem Menschen aufgehen, daß der »ontologischen Forderung« (G. Marcel) und damit dem eigenen Herzen durchaus zu trauen ist und es nicht nur irgendeinen Grund zur Hoffnung, sondern den Grund der Hoffnung gibt. Die urmenschliche Hoffnung, »daß sich nicht alles auflöst in ein Spiel aufeinanderfolgender und flüchtiger - das letztere Wort ist wesentlich - Erscheinungen« (G. Marcel) und die »große Grube ewiger Gleichgültigkeit« (R. Walter) nicht am Ende aller Wege der Liebe steht, hat seit dem Christusereignis einen festen Grund. Dieses Ereignis übersteigt den Charakter der Verheißung, denn der Sinn hat sich in der Geschichte letztgültig mitgeteilt. Die menschliche Hoffnung auf einen letztgültigen Sinn von Welt und Geschichte kennt also seitdem einen Namen, ja ein Antlitz, das ein Versprechen ist. Auf dieses zu blicken ist auch den Ungleichzeitigen - vermittelt durch die Kirche, die Zeugen - möglich; aber es scheint, am Kreuz vorbei findet sich kein letztgültiger Sinn von Welt und Geschichte:

»Das hellste Licht auf unserem wetterschweren Gang durch dieses Dasein bleibt die Finsternis von Golgotha«
(J. Bernhart).

Alle hier genannten Zeugen der Hoffnung haben wohl diese genuin christliche Botschaft verstanden. Was haben sich wohl Menschen dabei gedacht, wenn sie »im Lauf einer langen Leidensgeschichte aus ihrem Schicksal [Kreuze] geschnitzt und gestaltet haben: die Pestkreuze des Mittelalters mit dem blaugeschwollenen Leib, das Kreuz aus dem gestrandeten Wrack-Holz auf einer Insel, das Antlitz eines Gefolterten am Kreuz, der Berg der Kreuze in Litauen? Gefangene aller Art machen sich auch heute noch aus Stacheldraht ein schlichtes Kreuz, das sie mit sich führen und mit dem sie ihr Los ertragen.«

Im Collegium Albertinum in Bonn, einer Ausbildungsstätte für zukünftige Priester, befindet sich am Ende eines langen Ganges, im Kreuzgang, kurz bevor es hinausgeht, ein massiv wirkendes Kreuz von Walter Prinz, welches die ganze Nacht hindurch beleuchtet ist - meines Erachtens ein ungeheuer tiefes Sinnbild, das dem Menschen im Unterwegssein, gerade auch im Unterwegssein zu den anderen, zu denken gibt.

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