Leseprobe
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Der
folgende Auszug findet sich im Nachwort des Buches
[...]
Dieses Buch wurde in der Hoffnung geschrieben, daß insbesondere die Menschen,
die »der Glaube ... nicht mehr trägt«, angestoßen durch den einen oder
anderen Gedanken, neu aufmerksam werden »für das Licht, das alle Wolken zerreißt«.
Vielleicht noch ein Letztes. Das Licht, von
dem die Christen Zeugnis ablegen, fällt nicht ein in die Welt wie das Licht
eines Scheinwerfers auf die Bühne oder das Flutlicht in die Arena. Unser aller
Weg bleibt auch nach dem Christusereignis in ein nicht immer leicht zu
ertragendes Dunkel gehüllt.
»Mit der Aporie leben« - ich denke, das ist ein Wort, das sich auch Christen
zu eigen machen können. Und vielleicht ist es - um der Menschlichkeit willen -
gut, zu lernen, mit der Aporie zu leben, anstatt so zu tun, als gäbe es die
Aporie-Erfahrungen nicht. Das Leid, das Böse und - nicht zu vergessen! - der
Tod eines geliebten Menschen vermögen alles durcheinanderzubringen und vermögen
immer wieder Menschen niederzudrücken und in die Ausweglosigkeit zu führen.
Doch für die, die in der Finsternis sitzen, gibt es - auch dies sollte bei
aller Betonung der Aporie-Erfahrung nicht übersehen werden - inzwischen mehr
als »nur jene seltenen Momente des Lichts«, die auf den
Sinn zu verweisen scheinen. Sie dürfen nicht nur aufgrund von
Augenblickserfahrungen gegen alle erfahrene Sinnlosigkeit
und
Sinnwidrigkeit hoffen,
sondern sind
- freilich behutsam und diskret - eingeladen,
den Tod und die Auferstehung Jesu zu erinnern. [...]
Dabei kann einem Menschen aufgehen, daß der
»ontologischen Forderung« (G. Marcel) und damit dem eigenen Herzen durchaus zu
trauen ist und es nicht nur irgendeinen Grund zur Hoffnung, sondern den
Grund der Hoffnung gibt. Die urmenschliche Hoffnung, »daß sich nicht alles
auflöst in ein Spiel aufeinanderfolgender und
flüchtiger - das letztere Wort ist wesentlich - Erscheinungen«
(G. Marcel) und die »große Grube ewiger Gleichgültigkeit« (R. Walter) nicht
am Ende aller Wege der Liebe steht, hat seit dem Christusereignis einen festen
Grund. Dieses Ereignis übersteigt den Charakter der Verheißung, denn der
Sinn hat sich in der Geschichte letztgültig mitgeteilt.
Die menschliche Hoffnung auf einen letztgültigen Sinn von Welt und Geschichte
kennt also seitdem einen Namen, ja ein Antlitz, das ein Versprechen
ist. Auf dieses zu blicken ist auch den Ungleichzeitigen - vermittelt durch die
Kirche, die Zeugen - möglich; aber es scheint, am Kreuz vorbei findet
sich kein letztgültiger Sinn von Welt und Geschichte:
»Das
hellste Licht auf unserem wetterschweren Gang durch dieses Dasein bleibt die
Finsternis von Golgotha«
(J. Bernhart).
Alle hier
genannten Zeugen der Hoffnung haben wohl diese genuin christliche Botschaft
verstanden. Was haben sich wohl Menschen dabei gedacht, wenn sie »im Lauf einer
langen Leidensgeschichte aus ihrem Schicksal [Kreuze] geschnitzt und gestaltet
haben: die Pestkreuze des Mittelalters mit dem blaugeschwollenen Leib, das Kreuz
aus dem gestrandeten Wrack-Holz auf einer Insel, das Antlitz eines Gefolterten
am Kreuz, der Berg der Kreuze in Litauen? Gefangene aller Art machen sich auch
heute noch aus Stacheldraht ein schlichtes Kreuz, das sie mit sich führen und
mit dem sie ihr Los ertragen.«
Im Collegium Albertinum in Bonn, einer Ausbildungsstätte für zukünftige Priester, befindet sich am Ende eines langen Ganges, im Kreuzgang, kurz bevor es hinausgeht, ein massiv wirkendes Kreuz von Walter Prinz, welches die ganze Nacht hindurch beleuchtet ist - meines Erachtens ein ungeheuer tiefes Sinnbild, das dem Menschen im Unterwegssein, gerade auch im Unterwegssein zu den anderen, zu denken gibt.