Joseph
Bernhart
(1881-1969)
Joseph
Bernhart zählt zu den großen originalen Gestalten christlicher, katholischer
Geistigkeit des 20. Jahrhunderts, im Rang dem bedeutenden Religionsphilosophen
Romano Guardini (1885-1968) nicht nachstehend. 1881 in Ursberg geboren und 1969
hochbetagt in Türkheim gestorben, bayerischer Schwabe von Abstammung und
Geburt, lebenslang in seiner süddeutschen Heimat verwurzelt, hat sich Joseph
Bernhart mit fast allen Bereichen des geistigen Lebens auseinandergesetzt. Und
das ganze Lebenswerk dieses profunden und überaus einfühlsamen Kenners der
Geschichte und Geistesgeschichte des Abendlandes, der in weitgespanntem Horizont
philosophischer und theologischer, mystischer, historischer, kunsthistorischer
und kulturkritischer, biographischer und ästhetischer Thematik sich zuwandte,
Kommentare zu Augustinus und Thomas von Aquin schrieb, als brillanter Übersetzer
(z. B. von Augustins "Confessiones") sich betätigte und - ein Meister
der deutschen Sprache - obendrein auf die Kunst des Erzählens und Dichtens sich
verstand, atmet den weiten Geist einer zweitausendjährigen christlichen
Tradition, sucht deren letzte Tiefen auszuloten im unermüdlichen Ringen um
Antwort auf die letzten Fragen, die das Herz bewegt. "Nicht ein Ende, nur
ein Aufhören gibt es in der Betrachtung großer Gegenstände. Ins Unerreichbare
führt der Weg, wo ein Mensch sich auf die Suche nach dem Sinn begeben hat, und
wiederum ist ein Ende doch an jeder Stelle, wo ein Mensch sich auf die Suche
nach dem Sinn begeben hat, und wiederum ist ein Ende doch an jeder Stelle, wo
ein Mensch sich entschließt: hier will ich bleiben und meine Hütte
bauen."
Doch
an und in diesem so komplizierten, spannungsreichen Problemkomplex bewegte ihn -
um nicht zu sagen: wühlte ihn auf - die unendliche Frage des Antinomischen, der
Aporie, tief betroffen von der Wahrnehmung einer Tragik in der
Menschheitsgeschichte wie im Leben des einzelnen, deren Wie der menschliche
Geist bedrückend erkennt, deren Warum ihm aber verborgen bleibt - schließlich
die dahinter stehende Urfrage nach dem Bösen, seinem "Woher" und
"Wozu", und über alledem das unergründliche Rätsel der
Verborgenheit Gottes. Die
Schrift "Tragik im Weltlauf", durch eine persönliche
Konfliktsituation angestoßen und 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, veröffentlicht,
war Joseph Bernharts erster Versuch, auf diese Fragen eine Antwort zu finden.
Das Werk begründete den schriftstellerischen Ruf des damals Sechsunddreißigjährigen;
es zeigte schon in Vollendung Joseph Bernharts sprachliche Meisterschaft, die
Konzentration seiner Gedankenführung, mehr noch, sein leidenschaftliches Bohren
nach den letzten Gründen menschlichen Daseins. Und diese erregende Problematik
entließ ihn zurück, immer von neuem thematisierte er sie, suchte er nach Wegen
zu einer Antwort, und die von ihm sehr wachen Blickes beobachtete politische
Entwicklung der dreißiger Jahre, dann die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs
verstärkten noch diese Tendenz in seinem Schaffen. Frucht solchen Ringens waren
in den dreißiger Jahren - neben einer Reihe tiefschürfender Vorträge und Aufsätze
- seine große geschichtsphilosophische Studie "Sinn der Geschichte"
(1931) sowie seine bezeichnenderweise mit dein Eingangsworten des 129. Psalms,
eines Bußpsalms, betitelten Schrift "De profundis" (1935). Dieses
kleine, kostbare Werk, niedergeschrieben im Angesicht der heraufziehenden Düsternis
des "Dritten Reiches", enthält aufeinander zugeordnete beschwörende
Essays: über den Menschen in der Gottlosigkeit, über den ehelichen Menschen
und über den Menschen in der tragischen Welt. Joseph Bernhart faßte hier, in
Vorausahnung tödlicher politischer Gefahr, zeugnishaft die Quintessenz seiner
Lebens- und Glaubenserfahrung ins Wort, Gedanken und Einsichten vermittelnd, die
wohl zum Sublimsten und Wertvollsten aus christlicher Sicht gehören,
insbesondere in dem, was er über eheliche Existenz zu sagen hat. Als
dem 1941 von den nationalsozialistischen Machthabern mit Publikationsverbot
Belegten bei Kriegsende die Freiheit des Wortes wieder offenstand, stürzte sich
der inzwischen Vierundsechzigjährige sogleich von neuem in eine rastlose
Vortragstätigkeit und literarische Produktion. Es galt für ihn, einen
anerkannten und herausragenden Vertreter der während des "Dritten
Reiches" gewaltsam unterdrückten Tradition christlicher Philosophie und
Theologie, zu den geistigen Hintergründen der unmittelbaren Vergangenheit
Stellung zu beziehen und Wege aufzuzeigen zu einer ehrlichen Verarbeitung dieser
Vergangenheit wie zum geistigen Wiederaufbau des gesellschaftlichen Lebens auf
christlichem Fundament. "Das Dämonische in der Geschichte" (1945),
"Problematik der Humanitas" (1946) - das waren die Themen seiner
beiden wohl aufsehenerregendsten (und sofort im Druck erschienenen) Vorträge,
in denen er damals aus seinem christlichen Weltverständnis heraus Zeit- und
Gesellschaftsanalysen von höchster Eindringlichkeit und Hellsichtigkeit
lieferte. Den Ertrag dieser und anderer Vorträge legte er schließlich in zwei
bedeutenden Schriften nieder: in "Chaos und Dämonie. Von den göttlichen
Schatten der Schöpfung" (1950) und in "Die unbeweinte Kreatur.
Reflexionen über das Tier" (1961). Geht er in dem erstgenannten Werk, das
er selbst als seine theologisch wichtigste Arbeit betrachtet hat, angesichts der
ungeheuerlichen Verbrechen der modernen atheistisch-totalitären
Herrschaftssysteme der dunklen Frage nach dem Übel in der Welt nach: der Frage
letztlich, ob und wie "das Grundproblem jedes Herzens, das Negative in der
Welt, in einem positiven Sinn geborgen" werden könne, und rückt er dabei
in den Blickpunkt des Lesers Erwägungen und Gedanken, "die der üblichen
Verkündigung allzu lange schon fremd geworden sind", so bezieht er in dem
zweiten - in seiner Art fast singulären - Werk in diese seine Überlegungen
auch das Tier, die ächzende Kreatur, und die (von einer "zünftigen"
Theologie noch kaum reflektierte) Frage der Erlösung des Tieres mit ein. 1960
erschien dann sein ebenfalls aus diesem weiten Problemkreis der "Tragik im
Weltlauf" erwachsener fundamentaler Beitrag "Philosophischer Aspekt
der demokratischen Krisis", eine der wenigen ausdrücklichen Stellungnahmen
zu Fragen der Politik und der politischen Kultur aus seiner Feder, die bis heute
von ihrer Aktualität nichts verloren hat. Aber
Joseph Bernhart war - wie schon angedeutet - auch Historiker und biographischer
Porträtist von Format. Es sei lediglich erinnert an seine in fünf Auflagen
erschienene und in mehrere Sprachen übersetzte Papstgeschichte "Der
Vatikan als Thron der Welt" (1930, ab der zweiten Auflage "Der Vatikan
als Weltmacht", 1951), an sein aus den Quellen geschöpftes
Franziskus-Bändchen ("Franz von Assisi. Leben und Wort", 1944,1976),
als Kurzdarstellung in seiner Qualität unübertroffen, oder an sein aus intimer
persönlicher Kenntnis der Lebensumstände heraus gestaltetes erschütterndes
Lebensbild des Priesterdichters Peter Dörfler (1878-1955), seines schwäbischen
Landsmannes und Freundes (1959), endlich an seine Untersuchungen und
Textausgaben zur spätmittelalterlichen Deutschen Mystik. Und
nicht zuletzt war Joseph Bernhart ein feinsinniger Erzähler. Sein 1917/17
(unter dem Pseudonym Erik Sanders) veröffentlichter Thomas-Morus-Roman "König
und Kanzler" (unter dem Titel "Thomas Morus" 1979 neu aufgelegt)
und insbesondere sein autobiographischer Roman "Der Kaplan" (1919, 1986)
- um nur diese beiden Werke zu nennen - geben von seiner Erzählkunst
eindrucksvoll Zeugnis. Was freilich sein philosophisch-theologisches Werk betrifft, so ist es - anders als sein erzählerisches Werk, das dennoch auch seine Hintergründigkeit hat - keine leichte Lektüre. Bei aller Meisterschaft in der sprachlichen Präzision und Konzentration, bei aller Sicherheit und logischen Konsequenz der Argumentation ist seine Gedankenführung, gemäß der anspruchsvollen Thematik, kompliziert. Wie er es sich selber eine ungewöhnliche Anstrengung kosten ließ, von Ansichten zu Einsichten fortzuschreiten und "seine Erkenntnisse in einer Sprache zu vermitteln, in der Wort und Wirklichkeit völlig einstimmig" sind (Max Rößler), so erspart er dem Leser, der den Gehalt seiner Schriften erheben will, nicht die Anstrengung des Mitdenkens fast von Wort zu Wort. Doch wer sich Zeit nimmt und diese geistige Anstrengung nicht scheut, dem kommt aus der Lektüre reicher Gewinn; er wird Joseph Bernharts Schriften "wissender" und in diesem Sinne "getröstet" aus den Händen legen - er wird erfahren, daß hier ein wahrhaft Weiser zu ihm spricht. Eugen Biser urteilt wohl treffend, wenn er Joseph Bernhart - in Abhebung von Romano Guardini, dem "Denker des Bilds und der Intuition", dem "Meister des vereinfachenden Durchblicks" - als einen zuletzt nicht "sehenden", sondern "lauschenden" Lenker charakterisiert, der "seine Erkenntnisse der Sensibilität eines verwundeten und aufgrund dieser Versehrtheit 'mitwissenden' Herzens" verdankt habe. Prof.
Dr. Manfred Weitlauff, München
|